Kornelimünster. Die frühneuzeitlichen Bauten der Reichsabtei
Die frühneuzeitlichen Bauten der Reichsabtei Kornelimünster. Reliquienweisung und Reichsrepräsentation an einer historischen Stätte des Reiches
Die zwischen 814 und 817 durch Ludwig den Frommen gegründete Reichsabtei Kornelimünster bildete durch ihre Entstehungsgeschichte und ihren Reliquienbestand – insbesondere drei Tücher aus der Passion Jesu Christi, die ursprünglich zum Reliquienschatz Karls des Großen gehörten – eine wichtige Erinnerungsstätte an die Gründung des Heiligen Römischen Reiches durch die Karolinger. Aus dieser Tradition heraus begannen die Äbte seit dem frühen 16. Jahrhundert, die Reliquien sowie die eigene Rolle als deren Kustos prominent zu inszenieren. Dazu errichteten sie sukzessive zwei zusätzliche Kirchenschiffe mit Andachtsloge und Zeigungsfenster, eine oktogonale Kapelle am Hauptchor und, ab 1721, neue Konventsbauten in Form einer Ehrenhofanlage nach barockem Idealplan.
Während die mittelalterlichen Partien der Klosterkirche bereits in den 1960er-Jahren eingehend untersucht wurden, fanden die späteren Interventionen in der Literatur jedoch kaum Beachtung. Zusammen mit dem kunsthaus nrw und verschiedenen studentischen Forschungsteams arbeitete der Lehrstuhl für Architekturgeschichte daher seit 2017 die Bau- und Nutzungsgeschichte sowie die Bauideen und Bauanlässe der frühneuzeitlichen Abteigebäude mit den Methoden der Historischen Bauforschung auf. Schwerpunkte sind dabei unter anderem das Abtshaus mit seiner Fassadenarchitektur und seiner Raumsequenz aus Ehrentreppe und Kaisersaal, der Gästeflügel mit seinen Appartements und seinem Festsaal, die baulichen Strukturen für die eigentliche Reliquienweisung sowie die Folgerungen, die sich daraus für die Form und den zeremoniellen Ablauf des Weisungsakts ergeben.
Dabei wurde deutlich, dass sich die Struktur der Anlage gerade an einem Ort wie Kornelimünster nur mit dem Wunsch erklären lässt, dem Weg fürstlicher Pilger zu den Reliquien einen adäquaten architektonischen Rahmen zu geben. Zudem zeigte sich, dass die Bauten und ihre Ausstattung die Heiligtümer in den Rang von Reichsreliquien erheben sollten, die vor den Augen des pilgernden Adels für die dingliche Legitimation der gerade nach dem Spanischen Erbfolgekriegs wieder neu relevanten Reichsidee sorgten. Die in Kornelimünster gewonnenen Befunde dienen daher auch als Ausgangspunkt für die Frage nach der Darstellung des Reichsgedankens an den peripheren Orten der Reichstradition sowie nach der Verbindung italienischer und französischer Einflüsse in der Formensprache des konkreten Bauensembles, das dann für die nachfolgende Architektur der Aachener Region vorbildlich wurde.
Kontakt
Dr.-Ing. Tobias Glitsch
Yannick Ley, M. Sc. RWTH
Dipl.-Arch. Bruno Schindler