Beyond the Classical

  Seitenfassade von Inveraray Castle Urheberrecht: © Tobias Glitsch  

Beyond the Classical. Die Ursprünge des Stilpluralismus in Großbritannien

Nachdem sich die abendländische Architektur mehr oder weniger unmittelbar am Vorbild der römischen Antike orientiert hatte, erwachte ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz Europa allmählich auch wieder ein Interesse an anderen historischen Architekturformen. Eine Vorreiterrolle spielte dabei Großbritannien, wo die Erinnerung an die Gotik selbst damals noch vergleichsweise lebendig war. Zu der Zeit trafen eine lange etablierte antiquarische Bewegung, ein reger Kunstdiskurs unter Dilettanten und ein ungewöhnlich enger Kontakt außereuropäischer Kulturen über das Empire zusammen. Zugleich entwickelte sich ein besonders tiefgreifender technologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel im Zuge der Frühindustrialisierung und dadurch ein geistiges Klima, in dem das Streben nach Ausweitung des architektonischen Kanons auf besonders fruchtbaren Boden fiel.

Im Verlauf des Projekts sollen daher am Beispiel Großbritanniens die Prozesse und Rahmenbedingungen, die zur Wiederentdeckung zusätzlicher, zuvor nicht rezipierter Bautraditionen führten, einer Neubewertung unterzogen werden. Gleichzeitig sollen diese Traditionen, während das klassische Formenideal am Ende an Alleingültigkeit verlor, aufgearbeitet werden.

In einer Folge von aufeinander aufbauenden Teiluntersuchungen wird das Projekt zum einen – von den gotischen Ergänzungen Wrens und Hawksmoors über die ‚castle air‘ Vanbrughs, die Rokoko-Gotik Millers, Walpoles und Langleys sowie die Mittelalterfantasien Wyatts bis hin zu den Kontroversen um die Restaurierung der großen Kathedralen und den Bauten Pugins – zentrale Einzeletappen auf dem Weg zur Neogotik in den Blick nehmen. Ebenso sollen aber auch in die Analyse miteinbezogen werden: die Expeditionen Stuarts und Revetts neuerwachte Faszination für die griechische Baukunst, die Exotismen in Sezincote, der Royal Pavilion oder die Pagode von Kew sowie der Einfluss des neuen Baumaterials Gusseisen. Am Ende der Untersuchung steht schließlich die Architektur Alexander ‚Greek‘ Thomsons, die zeigt, wie sich durch den Einsatz nichtklassischer Kompositionsprinzipien auch aus den tradierten Einzelelementen neue, weit in die Zukunft weisende Gesamtlösungen generieren lassen.

Die Studie wird damit eine Entwicklung beleuchten, die gerade im 19. Jahrhundert weit über Großbritannien hinaus die Typologie- und Stildiskussion prägte und sich daher auch für das Verständnis der europäischen Architektur als Ganzes als grundlegend erweist.

 
 

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Dr.-Ing. Tobias Glitsch