SoSe 2020 | Erweiterung Krematorium Wien

  Außenperspektive des Krematoriums Urheberrecht: © Katharina Nitsche
 
 

Erweiterung Krematorium Wien

Masterthesis von Katharina Nitsche

Seit der ersten Feuerbestattung in Deutschland im Jahr 1878 stehen die Trennung zwischen Trauer und Technik und die damit verbundene Tabuisierung der Technik während des Bestattungsprozesses im Vordergrund. Erst in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts entstand die Idee, Technik und Trauer miteinander zu verbinden. Das Krematorium des 20. Jahrhunderts entspricht jedoch in vielfacher Hinsicht nicht mehr den Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Unsere heutige Gesellschaft hingegen ist offener für eine Verbindung zwischen Trauer und Technik und hegt den Wunsch nach einer Architektur mit viel Licht, Transparenz, Offenheit, klaren Strukturen und einer Verbindung zur Natur, nach einer Architektur, der es gleichsam gelingt, eine Atmosphäre der Geborgenheit zu erzeugen.

Das Bestandsgebäude des Wiener Krematoriums aus der Feder von Clemens Holzmeister entstand Anfang des 20. Jahrhunderts und sollte den Zentralfriedhof erweitern. Als Standort wählte Holzmeister die ungenutzte obere Gartenanlage von Schloss Neugebäude, welches 1568 unter Kaiser Maximilian II. errichtet worden war. Die obere Gartenanlage, welche einst unter anderem den Lustgarten des Kaisers umfasste, diente fortan als Krematorium samt Urnenhain. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Krematorium sodann mehrmals erweitert, und 2019 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben mit dem Ziel, den Bau abermals zu erweitern. Dies nimmt die Masterthesis von Katharina Nitsche zum Anlass, einen davon losgelösten und somit eigenen Vorschlag für einen Erweiterungsbau zu unterbreiten.

Die von ihr entworfene Erweiterung des Wiener Krematoriums befindet sich im Zentrum der Gesamtanlage. Der lang gestreckte Riegel hinter dem Bestandsgebäude betont die Achse zwischen Schloss und Krematorium und ist aus dem gesamten Urnenhain wahrnehmbar. Darüber hinaus greift die Gebäudekubatur Abmessungen des Bestands auf, behält die bestehende Symmetrie bei und wertet gleichzeitig die Rückseite auf.

Im Inneren des neuen Krematoriums spielt der Weg durch das Gebäude eine besondere Rolle, denn dieser ermöglicht es den Trauernden, das Krematorium in vollem Umfang zu explorieren. So dienen der Haupteingang des Bestandsgebäudes, dessen Vorhalle sowie die daran angrenzende historische Wartehalle ebenfalls als Haupterschließung des Erweiterungsbaus. Von diesem Ort aus startet der „Rundweg“ durch den neuen Gebäudeteil. Vorbei am Ort der Erinnerung, welcher sich zentral im Gebäudekomplex befindet und den Ruheplatz aller Besucher*innen der Anlage bildet, gelangt man zum Foyer des neuen Verabschiedungsraumes, dem Ort der Versammlung. An dieser Stelle teilt sich die Erschließung auf. Zum einen kann man beidseitig über eine Rampe ins Untergeschoss gelangen und von dort aus das Krematorium nach den Zeremonien in Richtung des Urnenhains verlassen, zum anderen ist es möglich, bis ans Kopfende der Erweiterung zu gehen. Von dort aus ist auch ein Einblick in den Ofenraum möglich. Vom Foyer aus gelangt man zudem in den neuen Verabschiedungsraum, dem Ort des Abschieds. Dieser Ort rückt den Ofen den Ort der Erlösung in den Vordergrund und ermöglicht es den Trauernden, dem letzten Abschied nämlich dem ins Feuer in einer angemessenen Umgebung beizuwohnen. Je nach Vorstellung der Trauernden kann dieser Raum auch von einem hellen, lichtdurchfluteten Raum mit Interaktion nach außen in einen Verabschiedungsraum eher geschlossenen Charakters verwandelt werden, welcher sie von der Außenwelt abschirmt und auch den Ofen nicht mehr in den Fokus stellt.

Insgesamt hebt die bedeutende Position des Ofens die Barriere zwischen Trauer und Technik auf und gestaltet den Prozess der Feuerbestattung transparenter. So bekommt der Ofen, der lange als Tabu gegolten hat, eine neue Bedeutung im Krematorium. Zusätzlich bildet der Entwurf auch die Entwicklung des Krematoriums ab: Von der Tabuisierung der Bestattung bis hin zur Teilnahme am letzten Augenblick. Die beiden Gebäudeteile stehen dabei jedoch nicht für sich, sondern verbinden sich zu einer Einheit, um für alle Trauernden die für sie genau passende Verabschiedungsform zu finden.

 
 

Betreuung

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Anke Naujokat (Prüfung)
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Sabine Brück (Co-Prüfung)
Dipl.-Ing. Architektin Verena Hake